Wie frei bin ich?

Am 21.10.2020 bekam das Karolinen-Gymnasium Rosenheim Besuch vom Wissenschaftler im Bereich der Neurologie und ehemaligen Lehrer des Karolinen- und Ignaz-Günther-Gymnasiums namens Dr. Franz Hauber. Dieser hielt im Rahmen des KAROPLUS - Programms einen Vortrag für die teilnehmenden Acht-, Neunt- und Zehntklässler über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurologie und über ethische und philosophische Fragen, die sich aus diesen ergeben.

Der Vortrag war dabei eher eine Mischung aus dafür typischem Monolog und einer Diskussion über das Thema. Mehrmals wurden uns Fragen zum Thema Willensfreiheit gestellt, bei denen man bereits merken konnte, dass die Teilnehmer oftmals unterschiedliche Ansichten haben: Die einen sahen das Bewusstsein als Produkt eines komplexen Gehirns, während die anderen an eine Art überirdische Seele zu glauben schienen – man merkt vielleicht, auf welcher Seite ich stehe.

Doch das Interessanteste am Vortrag waren, meiner Ansicht nach, nicht die Diskussionen, sondern die technischen Neuerungen, die Herr Dr. Hauber vorstellte. Der wissenschaftliche Fortschritt ist ja in den meisten Bereichen spürbar, aber auf dem Gebiet der Neurologie werden alle paar Jahre bahnbrechende Entdeckungen gemacht.

Herr Dr. Hauber erzählte uns von Versuchen, bei denen die Teilnehmer an bestimmte Wörter denken sollten, während ihre Gehirne untersucht wurden. Als sie sich dann zufällig für eines der Wörter entscheiden sollten, konnte man dann mithilfe dieser Hirnanalysen herausfinden, woran sie gerade dachten. Auch konnte man eine Handlung bereits Sekunden vor ihrer Ausführung vorhersehen – die Idee, nach einem Apfel zu greifen, entsteht offenbar messbar bereits rund fünf Sekunden vorher im Gehirn. Und diese Erkenntnisse werden bereits technisch genutzt:

Wir sahen zum Beispiel ein kurzes Video über einen Versuch, bei dem mithilfe einer Vorrichtung bestimmte Signale, die vom Gehirn zur Hand gesendet wurden, am Arm detektiert und bei einer anderen Person erzeugt werden konnten. So konnte eine Versuchsperson mithilfe ihrer Handbewegung ebenso die Handbewegung einer anderen Versuchsperson steuern – auch gegen deren Willen.

Ein anderes Video handelte von einem Eingriff, bei dem mithilfe einer gezielten Stimulation bestimmter Gehirnbereiche die Depression einer Frau kurzzeitig gelindert werden konnte. Leider wurden langfristige Folgen nicht gezeigt, aber der Effekt allein war schon beeindruckend: Plötzlich lächelte die Frau, während an ihrem Gehirn unter Betäubung operiert wurde.

Auch gibt es heutzutage offenbar schon die Möglichkeit, bestimmte Signalmuster im Gehirn abzulesen und damit herauszufinden, was die jeweilige Person machen will. Diese Informationen können dann für Maschinen übersetzt werden, die dann mit Hilfe von integrierten Computern bestimmte Handlungen ausführen, ohne dass die betroffene Person körperlich aktiv werden muss. So konnten zum Beispiel Querschnittsgelähmte mit spezieller Technik wieder gehen oder ihren Rollstuhl per Gedanken steuern. Momentan sind diese technischen Hilfsmittel noch ziemlich teuer und erst neu auf dem Markt, aber in zehn Jahren könnten sie bereits häufig zum Einsatz kommen.

All das klingt aber auch ein Stückchen gruselig, da so ja theoretisch auch gegen den eigenen Willen Einfluss auf die Handlungen von Personen genommen werden kann. Wobei – haben wir diesen freien Willen überhaupt? Immerhin kann man ja offenbar vorhersagen, was Menschen denken oder machen werden. Und was ist jetzt mit der Zukunft? Ist dieser technologische Fortschritt eigentlich gut? Ist es nicht unmoralisch, solche Forschung weiter zu betreiben? Schließlich könnte man die gewonnenen Erkenntnisse auch gegen uns verwenden.

Mit diesen Fragen beschäftigte sich der letzte Teil des Vortrags, und an dieser Stelle rückt das Ganze etwas aus dem Bereich der Naturwissenschaften heraus. Da die Frage nach moralisch und ethisch richtigem Handeln stark subjektiv geprägt ist, kann man als Außenstehender natürlich keine absolut objektiv richtigen Entscheidungen bestimmen. Herr Dr. Haubers Sichtweise ist, dass jeder einzelne Mensch nach langem Nachdenken über eine Entscheidung wahrscheinlich schon ein bisschen Freiheit besitzt und dass die Ausrichtung der Zukunft allein von der Moral der Firmen und Leute abhängt, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen uns ausnutzen könnten.

Mir hat der Vortrag sehr gefallen, vor allem die Informationen über technische Neuerungen, und ich wünsche auch zukünftigen Klassen und Teilnehmern des KAROPLUS - Programms, dass sie an so einer Veranstaltung teilnehmen können.

 

 

Thomas Schletter, 9a